Von großen Visionen für das sensorische Marketing

Riechen und Tasten sind zwei Sinneswahrnehmungen, die nicht automatisch dem Digitalen zugeordnet werden. Dass sie den digitalen Raum bereits eingenommen haben, ist meist gar nicht bewusst. Das sensorische Marketing im Digitalen scheint sich auf den ersten Blick vor allem auf den Sehsinn und das Gehör zu begrenzen. Neben der Menge an Übersetzungssoftwares im Internet stellt sich nun die Frage: Lassen sich auch Gerüche und Oberflächen für den Menschen übersetzen? Es gibt spannende Ansätze, die wie Science-Fiction anmuten – von Helmen bis zu Geschmacksdruckern. Die Antwort lautet: Ja.

Eine kurze Geschichte der Zukunft: Sinne zum Anziehen

Es reicht nicht, den komplexen Aufbau aller Bausteine und die entsprechenden Konzentrationen eines Duftes zu kennen, um ihn abzubilden. Es braucht entsprechende Programme, um die Informationen Materie werden zu lassen, denn das ist es, was wir riechen: die Moleküle eines Stoffes. „Sensory experience“ heißt der Ansatz, der beispielsweise Filmemacher:innen ermöglichen soll, den Zuschauer:innen mit zusätzlichen Effekten wie Vibrationen, Wind oder eben Gerüchen in die Filme eintauchen zu lassen. Nicht abzusehen sind die Möglichkeiten für Online-Kochbücher, deren Rezepte einem Geruchstest unterzogen werden könnten. Aber es braucht Hilfsgeräte, um feste Materie „drucken“ zu können. Einige dieser Geräte mischen bereits bis zu zwanzig verschiedene Basisdüfte zusammen – so viele, wie bereits entschlüsselt sind. Dass diese Visionen noch in der Zukunft liegen, zeigt allerdings die Geschichte von iSmell. Das Unternehmen wollte eine große „Bibliothek der Gerüche“ aufbauen und versammelten Investoren um sich, bis das Projekt nach kurzer Zeit eingestellt werden musste. Zu gering war die Nachfrage und das Vertrauen in die Skalierbarkeit der Technik.

Konkreter sind die Pläne der Firma Facebook, die das Gerät des Purdue-Tüftlerteams um Hong Tan unterstützt. Ein Netz von 24 miniaturisierten Reizgebern umschließt den Unterarm und sendet in verschiedene Richtungen über den Arm laufende Reizsignalmuster. Getestet wird derzeit, ob diese Reizmuster unterscheidbar genug sind, um Silben wie »Oh« oder »Ih« effizient zusammensetzen zu lassen. In kleinen Testrunden lernten Proband:innen bereits erfolgreich die erfühlten Vibrationsfolgen in Laute und sinnvolle Worte zu übersetzen. Aber nicht nur Phoneme können vermittelt werden. Eine Fülle an haptischen Feedbackreizen sind so zukünftig auch über Desktopanwendungen möglich. Ein weiteres Modell liefern Datenhandschuhe, an denen die Universität Bielefeld forscht. Mittels elektrischer Impulse und Vibrationen überträgt der Prototyp Struktur und Feedback an die Nervenenden der Finger.

Erfolgreiches sensorische Marketing der Gegenwart

Digitale Haptik im Sinne der Hardware wie in der Produktwelt gibt es jedoch bisher nicht. Die Geräte lassen sich zwar anfassen, aber Gefühle müssen über die Software vermittelt werden und damit vor allem über die Gestaltung des Interfaces. So entsteht ein Gefüge aus Fläche, Zeit und Tiefe. Der Begriff „digitale Haptik“ meint genau diese drei Dimensionen und kann emotional weitaus stärker berühren als jedes Papier. Wenn von digitaler Haptik gesprochen wird, dann muss die menschliche Natur berücksichtigt werden, die besagt, dass wir unsere Sinneswahrnehmungen zu jeder Zeit miteinander verknüpfen.

Das Spiel mit Erwartungen in der Food-Fotografie

So erstaunlich es klingt, aber der Mensch leitet seine Sinneswahrnehmungen aus allen Informationen ab, die er aufnimmt. Früchte wirken frisch und knackig, wenn sie mit Wasser oder Olivenöl besprüht wurden. Für die richtige „Knusprigkeit“ sorgt braune Lebensmittelfarbe, alternativen Wasserdampf können heiße Handtücher oder Trockeneis erzeugen. Wird ein Mensch in die Darstellung einbezogen, der genießerisch schmeckt oder riecht, kreiert er eine Erwartungshaltung, die ihr oder ihm unweigerlich suggeriert, das Kommende wird gut sein. In den aufgenommenen Datensätzen von Experimenten zu diesem Thema zeigt sich, dass die für den Geruch zuständigen Gehirnzellen schon aktiv werden, noch bevor ein Geruch in der Luft liegt. Deshalb greift die typische Pizzawerbung auf genau diese Methode zurück, um Gerüche greifbar zu machen. Gerüche werden also gesehen, Geschmack gehört. Man denke nur an die Sounddesigner:innen, die den richtigen Cruncheffekt mit Struktur und Konsistenz zur Perfektion treiben. Geschmack wird auch gesehen. Was die Food-Fotografie mit künstlichen Objekten, Lack und Farbe schmackhafter hat aussehen lassen, als das Original je sein könnte, funktioniert auch im Design.

Die Liebe zu Apple

Emotionen kann man ertasten. Apple hat seine Kund:innen gelehrt, Geräte zu streicheln. Der motorische Code des Streichelns aktiviert die Bereiche im Gehirn, die für Liebe, Zuneigung und Aktivität stehen. Damit wird die Grobmotorik, die technischen Geräten in der Regel entgegengebracht wird, umgekehrt. Mehr noch: Was wir lieben, wollen wir anfassen. Hier wird das Fundament einer tiefen Kundenbindung gelegt. Haptisches Feedback gibt uns darüber hinaus Vertrauen und suggeriert eine aktive Interaktion, die Nähe aufbauen lässt. Das sanfte Summen und Surren der Endgeräte bespielt genau diesen Eindruck.

Durch erweitertes sensorisches Feedback wird der POS zum Point of Experience (POE) und bietet unzählige Möglichkeiten zur Produktdifferenzierung und Markenpräferenz. Die tägliche Verwendung des Markenprodukts wird zum punktuellen Markenerlebnis. Auch im digitalen Bereich können alle fünf Sinne eingebunden werden, weil sie so eng miteinander verknüpft sind. Das sensorische Marketing wird dabei so lange auf dieser tief verankerten Kopplung aufbauen, bis die technischen Entwicklungen Gerüche und Strukturen direkt an unsere Nervenzellen weiterleiten können.